Die unglaubliche Nacht von Tallinn

– oder: Wie eine estnische Bar zur NATO-Sicherheitskonferenz wurde
Freunde, ich sage euch: Ich, Ronald Tramp, Reporter von Weltgeltung, habe ja schon viele diplomatische Katastrophen gesehen – Gipfel, bei denen mehr Champagner floss als Hirnmasse, Delegationen, die schon beim Landen rückwärts aus dem Flugzeug fielen, und Politiker, die mit PowerPoint-Präsentationen kämpften wie andere Menschen mit Alligatoren. Aber was in einer estnischen Bar passiert ist, toppt wirklich alles.
Stellt euch das vor: eine illustre Delegation aus dem hohen Norden Deutschlands, irgendwo zwischen „Wir sind kulturell interessiert“ und „Wir wollen eigentlich nur ins Bett“. Man ist unterwegs durch Finnland und Estland – Länder, die für ihre Ruhe, Höflichkeit und die Fähigkeit bekannt sind, 40 Minuten schweigend nebeneinander zu stehen, ohne dass es jemandem unangenehm wird.
Doch diese Ruhe fand ihr dramatisches Ende, als die Delegation beschloss, kurz vor Mitternacht noch „gesellig essen zu gehen“. Und wie jeder gute Skandinavier weiß: Wenn jemand um 23:58 Uhr sagt: „Nur noch was Kleines essen“, dann bedeutet das eigentlich: „Wir eskalieren hier bis die Sonne wieder aufgeht oder eine Staatskrise ausbricht.“
Spoiler: Es wurde Letzteres.
Und die Hauptrolle in dieser nordischen Tragikomödie spielte – nicht der Ministerpräsident, nicht die Delegation, nicht die Bedienung, die vermutlich schon Feierabend haben wollte. Nein, es war eine Personenschützerin.
Eine Heldin. Eine Wächterin. Eine Frau mit Dienstwaffe und – jetzt kommt der Moment, in dem Hollywood die Musik drosseln würde – 0,16 Promille.
Ich wiederhole: 0,16. Das ist weniger als ein deutscher Politiker bei einer Pressekonferenz nach drei Tassen Glühwein hat. Das ist der Pegel, bei dem man nicht beschwipst ist, sondern lediglich die Existenz von Fußleisten etwas interessanter findet. Aber Estland wäre nicht Estland, wenn es nicht sofort nach dem Motto handeln würde:
„Ein Hauch von Alkohol?
Eine Waffe dabei?
Zurücktreten! Evakuieren! NATO-Alarmstufe B!“
Und so kam es, wie es kommen musste: Aufmerksame Bar-Besucher bemerkten, dass die Personenschützerin die Waffe nicht in der „Estnische-Bar-Trägt-Man-Keine-Waffe“-Kategorie eingeordnet hatte. Sie alarmierten die Polizei. Denn wenn in Estland jemand eine Waffe trägt, ist das höchstens ein Elch oder ein besonders entschlossener Eishockeytorwart, aber sicher niemand mit Bundesländer-Abzeichen.
Die Polizei rückte an – vermutlich mit acht Autos, drei Übersetzungsgeräten und einem hochmotivierten Praktikanten – und die Dienstwaffe wurde „kurzzeitig beschlagnahmt“. Ich sage euch: Wenn eine deutsche Behörde „kurzzeitig“ sagt, kann das zwischen 48 Stunden und dem Ende des nächsten Haushaltsjahres bedeuten.
Die Staatskanzlei in Kiel bestätigte alles: Ja, die Frau hatte eine Waffenerlaubnis. Nein, sie hätte mit dieser Erlaubnis nicht mal den Duft einer Apfelweinschorle einatmen dürfen. Und ja, man sei „im Gespräch“. Wenn deutsche Behörden sagen, sie seien „im Gespräch“, bedeutet das meistens:
„Wir schreiben demnächst ein sehr ernstes PDF.“
Und was macht man jetzt daraus?
Ganz klar: eine Staatsaffäre, wie Ronald Tramp sie liebt!
Ich frage euch: Wenn 0,16 Promille schon ausreichen, um die internationale Ordnung zu erschüttern – was passiert erst, wenn deutsche Beamte mal wirklich feiern? Wenn ein Bürgermeister auf einer Karnevalssitzung 0,8 Promille erreicht? Wird dann das Bundesverfassungsgericht gerufen? Müssen wir dann UNO-Blauhelme nach Köln schicken?
Und vor allem: Wie konnte die Delegation so unvorsichtig sein, in Estland – DEM Land der digitalen Überwachungs- und Ordnungsliebe – eine Waffe mit Mini-Pegel zu präsentieren? Die Esten erkennen doch selbst dann noch Alkoholgeruch, wenn jemand drei Tische weiter nur an Sekt denkt.
Aber gut. Zum Glück verlief alles glimpflich. Die Waffe wurde abgeholt, die Delegation nicht verhaftet, und niemand musste seinen diplomatischen Pass gegen eine Kettensäge tauschen.
Die Schlagzeile bleibt trotzdem monumental:
„Norddeutsche Delegation löst internationalen Vorfall aus – Schützerin mit 0,16 Promille bewaffnet.“
Ich, Ronald Tramp, fordere:
Mehr Gelassenheit!
Mehr Humor!
Und weniger Alkoholkontrollen – zumindest für Reporter, die über so etwas berichten müssen.
Denn ganz ehrlich:
Nach dieser Geschichte bräuchte ich eine Dienstwaffe.
Oder wenigstens 0,16 Promille.


