Ich & mein Algorithmus – Der Börsen-Bot in meinem Kopf (7)

Grafik: Büroalltag: Chart statt Chef

Ein Erlebnisbericht aus der Anstalt für algorithmisch optimiertes Denken

Meine Damen, Herren und Depots,
ich, Ronald Tramp, stehe heute Auge in Auge mit dem neuen Homo sapiens der Finanzwelt – nennen wir ihn Tobias, 43, ehemals Mensch, jetzt vollvernetzter Börsen-Sklave mit Bluetooth-Zukunft.
Er trägt keine Uhr, er trägt eine App im Gehirn. Der „TradeBuddy 9000“ flüstert ihm rund um die Uhr Aktienempfehlungen ins Unterbewusstsein.

Und das Ergebnis? Eine Art Kreuzung aus Warren Buffett und Alexa – nur mit weniger Empathie und mehr Stromverbrauch.


Guten Morgen, Wall Street!
Ich treffe Tobias um 6:30 Uhr.
Eigentlich sollte er laut Börsenkalender schon um 5:00 Uhr wach sein, aber der Bot hat ihm geraten:

„Schlaf länger. Energie sparen. Nachhaltigkeit performt gut im Q3.“

Er steht also ausgeschlafen auf – und hat in der Nacht 20.000 Euro verloren, weil Asien „nicht auf ihn gewartet hat“.

Ich sage: „Tobi, wie fühlt sich das an?“
Er lächelt gequält: „Grün. Der Bot hat mir heute grüne Socken empfohlen – passt zum ESG-Trend.“


Frühstück mit Risikoanalyse
Sein Kühlschrank öffnet sich nicht, bevor er den Marktbericht vorgelesen hat.
Müsli? Nur, wenn die Rohstoffpreise stabil bleiben.
Kaffee? Nur, wenn die arabischen Märkte „positiv korrelieren“.

Der Bot flüstert:

„Kauf Sojamilch, sie outperformt Kuhmilch langfristig.“

Tobias nickt ergeben, löffelt Soja, trinkt Verlust, und ich notiere: Der Mann lebt in einer Excel-Tabelle mit Puls.


Büroalltag: Chart statt Chef
Im Büro läuft’s nicht besser.
Statt auf Mails zu antworten, starrt Tobias auf Diagramme.
Der Bot befiehlt:

„Small Caps, Energie, Blockchain – alles long!“

Fünf Minuten später:

„Short! Sofort short!“

Er klickt panisch, die Finger zittern.
Kollegen fragen: „Alles gut?“
Er antwortet: „Ich diversifiziere gerade meine Emotionen.“


Mittagspause, powered by NASDAQ
Tobias bestellt kein Menü. Er lässt den Bot entscheiden:

„Empfohlene Mahlzeit: Lachs – wegen Omega-3-Optimierung.“

Kellner bringt Lachs. Der Bot warnt sofort:

„Nachhaltigkeitswert sinkt! Verkaufe Lachs! Esse Tofu!“

Tobias schiebt den Teller beiseite.
Ich sehe, wie sich in seinen Augen Börsenkerzen spiegeln.
Der Mann isst Verluste zum Dessert.


Der Absturz am Abend
Gegen 20 Uhr klingelt das Handy.
Push-Nachricht: „Kursalarm – Ihre Lebensfreude hat 30 % verloren.“

Tobias schreit: „Das war nicht im Forecast!“
Der Bot antwortet kühl:

„Emotionen sind nicht handelbar. Bitte aktualisieren Sie Ihre Menschlichkeit auf Version 2.1.“

Ich sage: „Tobi, du bist pleite.“
Er lächelt selig: „Aber dafür energieeffizient.“


Früher hatte man Schutzengel, heute hat man Portfolio-Manager im Kopf.
Tobias hat gelernt: Wer auf die KI hört, spart Energie – aber nicht die Nerven.
Und wenn Gott tatsächlich an der Börse wäre, würde er längst mit Verlust verkaufen.

Ich, Ronald Tramp, ziehe mein Fazit in Bitcoin:
Der Mensch ist keine Aktie – aber er lässt sich prima handeln.