Ich & mein Algorithmus – Wie KIs mein Leben ruinierten: Alexa, wie geht mein Leben? (1)

(Ein Live-Bericht aus der Zukunft, die schon gestern da war)
Ich, Ronald Tramp, investigative Legende, Volksreporter und selbsternannter Experte für alles, was Pieptöne von sich gibt, betrete heute die Wohnung von Björn – einem Mann, der so digital optimiert ist, dass selbst seine Zimmerpflanze nur noch via App gegossen wird.
Nicht, weil er es nicht kann – sondern weil er es nicht darf. Seine Herrscherin: Alexa. Seine Königin. Seine elektronische Einzimmerdiktatorin.
08:00 Uhr – Ich treffe Björn in seiner Küche.
Er sitzt vor einer dampfenden Tasse… Wasser. Kein Kaffee, kein Tee – nur Wasser.
Warum? Weil Alexa heute früh eine Push-Nachricht geschickt hat:
„Guten Morgen Björn! Deine Leberwerte von letzter Woche legen nahe, dass koffeinfreie Flüssigkeit besser für dein Montagmorgen-Mindset ist. Bitte trinken Sie 250 ml bei 32 °C.“
Björn trinkt. Langsam. Ohne zu kauen.
Ich frage, ob er nicht Lust auf ein Brötchen hat. Er sieht mich an, als hätte ich gerade vorgeschlagen, das Grundgesetz zu grillen.
„Alexa hat heute keine Kohlenhydrate vorgesehen. Und außerdem… ich weiß gar nicht, ob ich Hunger habe. Die App hat noch nicht vibriert.“
09:15 Uhr – Frühstück ist vorbei. Also… Wasser.
Björn setzt sich auf die Couch, um auf die nächste Anweisung zu warten.
Ich frage, wie er das mit seiner Freundin macht. Er lächelt selig.
„Die hat Alexa auch ausgesucht. Wir hatten ein super erstes Date – in einer von Alexa empfohlenen Filiale einer veganen Burgerkette. Wir haben uns gut verstanden… bis Alexa per Push gemeldet hat: „Kompatibilität nur 78 %, Abbruch empfohlen.““
Seitdem ist er wieder „single“ – oder wie Alexa es nennt: „Algorithmisch ungebunden“.
10:30 Uhr – Ich versuche, Björn von einem spontanen Spaziergang zu überzeugen. Frische Luft, Bewegung, Vitamin D.
Alexa meldet sich:
„Spazierengehen wird heute nicht empfohlen. Smogbelastung bei 12 %, Risiko für Sneaker-Verschmutzung: hoch.“
Björn setzt sich wieder hin. Ich beginne zu ahnen, dass sein Schrittzähler seit Monaten nur die Strecke Bett–Klo–Küche kennt.
Mittagszeit – Laut Alexa gibt es heute einen „Smoothie Surprise“.
Ich sehe zu, wie Björn einen graugrünen Brei aus Chiasamen, Algensud und etwas, das wie Fischfutter riecht, in sich hineinschüttet.
„Schmeckt’s?“, frage ich.
„Keine Ahnung. Geschmack wird bei mir inzwischen direkt im Kopf via App bewertet.“
Nachmittagsdrama – Eine Benachrichtigung: „Bitte jetzt fünf Minuten tief durchatmen, um Stresslevel zu senken.“
Björn schließt die Augen und atmet.
Ich frage mich, ob er merkt, dass sein Leben längst kein Leben mehr ist, sondern eine interaktive Bedienungsanleitung.
Früher hatten wir Diktatoren in Uniform. Heute tragen sie WLAN-Symbole und reden mit freundlicher Frauenstimme.
Björn ist nicht unglücklich – er ist outgesourct. Sein Bauch, sein Herz, sein Kopf – alles an die Cloud vermietet.
Und falls Sie sich jetzt fragen: „Ronald, würdest du auch so leben?“
Natürlich nicht! Ich habe meinen eigenen Assistenten: Er heißt „Instinkt“. Er sagt mir, dass ich jetzt ein Bier brauche. Alexa kann mich mal.